Premiere: Berühmte Arie von BACH mit Musik-Apps gespielt

Die Arie „Großer Herr, o starker König“ aus dem berühmten Weihnachtsoratorium von J.S. Bach erklingt alle Jahre wieder in verschiedensten Interpretationen auf unterschiedlichsten Bühnen. Die erste Realisierung der anspruchsvollen Arie auf Smartphones und Tablets ist etwas besonderes. Es klingt wie ein traditionelles Orchester. Jedoch, das „DigiEnsemble Berlin“ spielt jeden Ton der Bach’schen Partitur auf handelsüblichen Smartphones und Tablets mit Musik-Apps aus dem App Store.

Dirigiert von Tammin Julian Lee und gesungen vom Konzertbariton Tobias Berndt, wurde die moderne Interpretation unter der Leitung von Matthias Krebs im Sommer 2012 am UdK Berlin Career College erarbeitet und in Kooperation mit der Telekom AG das Videomaterial produziert. Das nun veröffentlichte Video „BACH: Aria ‚Großer Herr‘ on mobile devices – by DigiEnsemble Berlin“ zeigt ein einmaliges Experiment, in dem auf höchstem spieltechnischen Niveau so virtuos und ausdruckvoll wie momentan möglich ein klassisches Werk  allein mit Musik-Apps musiziert wird.

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Das Smartphone-Orchester auf der Bühne | Video-Screenshot

Wozu der Aufwand?

Die Musiker des DigiEnsemble Berlin sind überwiegend Profimusiker und experimentieren schon seit 2010 mit Smartphones und Tablets als ein digitales sensorgesteuertes Instrumentarium. Seit 2011 spielen sie regelmäßig Konzerte mit einem ständig wechselnden Programm aus den unterschiedlichsten Musikrichtungen von Klassik über Tango und Jazz bis Hard Rock. Dabei suchen die Musiker ständig nach neuen musikalischen Herausforderungen: Ist es möglich, ein so anspruchsvolles Meisterwerk wie Bachs Weihnachtsoratorium mit Musik-Apps zu musizieren? Ist die Interpretation überzeugend? Wie klingt J.S. Bach gespielt auf Smartphones?

Die Realisierung der Bach-Arie stellt für die Musiker ein ganz besonders herausforderndes musikalisches Experiment dar: Sie wollen herausfinden, mit welchen technischen Mitteln, mit welchen Musik-Apps und mit welchen entsprechenden Spielweisen so musikalisch wie nur möglich mit digitalen Alltagsgeräten musiziert werden kann. Virtuos zu spielende Instrumentenstimmen und  der musikalische Anspruch den sich die Musiker bei der Interpretation des bedeutsamen Werkes von Bach stellen, war Ausgangspunkt der Probenarbeit. Es ging nie darum traditionelle Instrumente Konkurrenz zu machen, sondern vielmehr einen wichtigen Schritt auf der Suche nach künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten und Musizierweisen mit sensorgesteuerten Digitalgeräten zu machen. Es handelte sich also um eine musikalische „Machbarkeitsstudie“. Gleichzeitig begreifen sie die Ergebnisse ihrer Erkundungen als ein Plädoyer dafür, dass praktisch jeder mit einem Smartphone und der geeigneten App ein Musikinstrument mit sich trägt. Darum musizieren die Musiker des DigiEnsemble Berlin auch ausschließlich mit Musik-Apps, wie sie jeder für wenige Euro aus den App Stores laden kann. Welche Smartphones und Tablets sowie Musik-Apps die Musiker nutzen, legen sie nicht vorher fest. Die Auswahl entscheidet sich in der Konzeptions- und Probenphase, die häufig mehrere Monate dauert.

Als Ergebnis dieses Arien-Projektes wurde nicht nur in Form eines aufwändigen Musikvideos festgehalten, sondern zudem auch am 16. Dezember 2012 im ehrwürdigen Berliner Dom gemeinsam mit dem Bariton Roman Trekel im Rahmen des Adventsgottesdienstes live aufgeführt (Link). Die rund 700 Zuhörer waren von der digitalen Interpretation begeistert.

Soll das der Anfang vom Ende klassischer Musik sein? Nein! Ziel des musikalischen Experimentes war es, die Grenzen des spieltechnisch Machbaren zu erweitern. Dabei standen eine authentische und anspruchsvolle Interpretation und die Erzeugung einer musikalischen Wirkung auf den Zuhörer im Fokus. Die Konzeption und Umsetzung erfolgte auf Grundlage der spieltechnischen Erfahrungen der DigiEnsemble-Musiker mit Musik-Apps und Beratung von Musik-Experten. Der Leiter des Ensembles, Matthias Krebs, wählte diese Arie bewusst, mit der Absicht mit dieser großen Herausforderung einen wichtigen Entwicklungsschritt auf der Suche geeigneter musikalischer Nutzungsweisen mit den digitalen Alltagsgeräten zu gehen.

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Premiere im Berliner Dom mit Roman Trekel | Foto: Johannes Püschel

Die technische Realisierung

Bei der Erarbeitung der Arie wurde die Spielweise erheblich verbessert, da lange mit unterschiedlichen Musik-Apps experimentiert wurde und eine Vielzahl aufwendiger Controller zum Einsatz kam. Hervorzuheben ist die Optimierung der Ausdrucksmöglichkeiten, die letztlich in dieser Form durch die App „MIDI In Motion“ von Florian Schwehn ermöglicht wurde. Wie man im Video deutlich sehen kann, wird durch Heben und Senken des Smartphones oder Tablets die Klanglichkeit (insbesondere die Lautstärke) differenziert steuerbar. Das Digitalgerät verwandelt sich in einen Klanghandschuh, der differenziertes, expressives und körperbezogenes Musizieren ermöglicht.

Alle Töne werden in Echtzeit auf den Smartphones selbst mit Hilfe von unterschiedlichen Apps erzeugt. Das Tonsignal eines Spielgerätes wird über die Kopfhörerbuchse an ein Mischpult übertragen. Um die Stärken unterschiedlicher Apps zu nutzen, werden drei Musik-Apps gleichzeitig genutzt, die über Vitual Midi verbunden werden. Wir nutzten auf unseren iPads und iPods jeweils die App „ThumbJam“ als Sampler, die App  „Geo Synth“ als Spieloberfläche und „MIDI In Motion“ zur Bewegungssteuerung der Lautstärke (Schwehn hat hierfür freundlicherweise eine leicht optimierte beta Version zur Verfügung gestellt, die sicher bald auch im App Store erhältlich sein wird).

Im Verlauf der Erarbeitung der Arie wurden die Smartphones und Tablets in der Wahrnehmung der Musiker des DigiEnsemble Berlin stärker als zuvor zu erstzunehmenden Musikinstrumenten, auf einem hohen spieltechnischen Level mit guten Differenzierungsmöglichkeiten. Doch wie bei jedem Musikinstrument gehört zur meisterhaften Beherrschung auch hier intensives Üben. Die konzentrierten gemeinsamen Proben an der Arie fanden in einem Zeitraum von über drei Monaten statt. Zu den Vorbereitungen gehörten auch Konsultationen von Experten wie z.B. Professoren der Universität der Künste Berlin, um die musikalische Umsetzung bestmöglich zu gestalten.

„Das ersten Konzert, das unter Ihren Weihnachtsbaum passt…“

Das Videomaterial selbst stammt aus einer Kooperation mit der Telekom AG, welche für die Video- und Studioaufnahmen aufkamen. Im Sommer wurde daraus ein Videoclip produziert, der Teil einer Augmented-Reality-App ist. Nach einem Konzept der Hamburger Agentur GRIMM GALLUN HOLTAPPELS wurde eine einzigartige Weihnachtspostkarte konzipiert, die Markenfilm Crossing technisch realisierten (Link). Das DigiEnsemble Berlin möchte sich hiermit für die Zusammenarbeit herzlich bedanken.

Eigenproduktion

Daneben wurde das gesamte Produktionsmaterial dem DigiEnsemble Berlin zur freien Verfügung gestellt, sodass unter der Regie von Matthias Krebs eine eigene Video-Version produziert werden konnte. Das gesamte Videomaterial wurde neu gesichtet und zu einem Musikvideo zusammengeschnitten, das sowohl die musikalische Struktur aufzeigt und eine Musik-Performance darstellt, als auch Einblicke in die entwickelte Spielweise mit den digitalen Instrumenten gibt. Dazu wurden besonders viele Kameraperspektiven gewählt, die auf die Spieloberflächen und die Spielbewegungen der Musiker mit ihrem digitalen Instrumentarium gerichtet sind.
Die Videoproduktion fand bei feinfilm statt, den Schnitt machte die großartige Cutterin Liesa Rademacher und für die Farben zeichnet Mathias Geck Verantwortung. Herzlichen Dank für die engagierte und professionelle Teamarbeit.

Ausblick

In den nächsten Projekten wollen sich die Musiker des DigiEnsemble Berlin näher mit der Echtzeit-Visualisierung von Musik befassen sowie auch mehr mit Synthesizerklängen arbeiten, die sie bewegungsgesteuert in ihrem Sound manipulieren werden. Angedacht sind auch die Beschäftigung mit mikrotonalen Kompositionen und eine Weiterentwicklung von installationsartigen Kunstkonzepten, die Klangflächen durch den Raum schweben lassen sowie Filmmusiken. Der Ausgang der verschiedenen musikalischen Experimente ist für die beteiligten Musiker ungewiss, aber genau das macht den Reiz aus, es eröffnen sich mit den digitalen sensorgesteuerten Geräten Möglichkeitswelten.

video credits

DigiEnsemble Berlin

Tobias Berndt – bariton
Tammin Julian Lee – conductor
Matthias Krebs – solo trumpet
Miriam Akkermann – flute
Tim Neuser – violin 1
Dustin Dick – violin 2
Sven Ratzel – viola
Uwe Schamburek – bassoon/cello
Timon Kossack – bass bowed
Daniel Grote – organ

THX to: Prof. Dr. Richenhagen and Prof. Dr. Supper
THX to: Florian Schwehn

music production

Daniel Kemper (Emil Berliner Studios)

camera

Kai Klinke, Neels Feil (Markenfilm Crossing)

video production

Matthias Krebs (vision, management, punos)
Liesa Rademacher (cutter, feinfilm)
Mathias Geck (color grading)
Lukasz Fabijanczyk (logo animation, cutter)
Bastian Schick (logo sounds)
Susanne Hassepaß (ass., feinfilm)
Nastasia Mohren (ass., punos)

Many THX to Gesa Meynen and GRIMM GALLUN HOLTAPPELS.

The film was shot on 20th September 2012 at the old theatre stage of the Heimathafen Neukölln in Berlin. The video was release on the 21th December 2012.

DigiEnsemble Berlin Release 2012

CC BY NC SA

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